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„Ach, bei Ingerimm, es ist ein Jammer!“, seufzte Hagbert der Schmied aus tiefster Seele und stützte sich mit seinen muskulösen Armen auf der rußigen und sichtlich alten Werkbank auf. Vor ihm, auf einem Stück wachsgetränkten Leder, lag ein Brief, schon etwas abgegriffen vom vielmaligen Lesen, den er auch jetzt wieder zur Hand nahm und sich damit zu seiner Frau umdrehte, die mit einem milden Lächeln in den Raum getreten war.

„Juniva, kannst du dir vorstellen, was er mir geantwortet hat? Dieser vermaledeite Saukerl! Da frag ich ihn, ob ich meinen Fünfzigsten groß bei ihm in der Kaiserpfalz feiern kann, benutz das gute Papier, höfliche Worte, Praiostagsschrift und geb mir alle Mühe. Und was schreibt man mir zurück?!“

Die Frau des Wirtes hatte während seiner Tirade gedankenverloren damit begonnen, die verdreckte Öllampe neben sich mit einem Lappen zu putzen und spuckte in dem Moment geräuschvoll darauf, als sich ihr Mann mit dem Brief in der geballten Hand zu ihr umwandte. Schicksalsergeben stellte sie die Lampe wieder ab, steckte den Lappen ein und schaute ihren Angetrauten erwartungsvoll an, sich sehr wohl bewusst seiend, dass keine Rückfrage oder irgendein Wort nötig war, damit er weitersprach. Diese Stimmung an ihm war ihr genauso bekannt, wie jede einzelne Runzel in seinem wettergegerbten Gesicht.

„Bei Praios gleißendem Schw…“, fing Hagbert zu schimpfen an, fing sich dann aber einen der seltenen, aber äußerst scharfen Blicke seiner Frau ein, die ihn sowohl in Wortwahl, als auch in Lautstärke einen kräftigen Rückzieher machen ließ. „…eh…Schild…mein ich.“, endete er lahm den gerade begonnen Fluch. „Wenn du jetzt hörst, was sie mir schreiben, wirst du schon verstehen.

Werter Hagbert, großer Schmied,

hier in der Taverne ist es uns allen eine große Ehre, dass du deinen Fünfzigsten bei uns feiern willst. Selbst die alte Vettel Herdlinde hat nichts dagegen und hat schon überlegt, was sie dir alles zubereiten könnte.

Doch vor wenigen Tagen hat uns eine Nachricht erreicht, die uns alle in tiefe Bestürzung getrieben hat. Erhardt Steinhügel, der für viele von uns wie ein Vater war, ist nicht mehr. Wie du dich sicherlich noch erinnern kannst, hat er letzten Sommer, nachdem wieder mal ein großer Schwung von zwielichtigen Gestalten und ach so strahlenden Rittern durch unsere Taverne gerutscht ist, sein Schwert wieder von der Wand genommen.

Wir alle haben ihn angefleht, es nicht zu tun und bei uns zu bleiben. Herdlinde hat ihn tagelang angeschrien und sein Lieblingsessen gekocht, auch Nandurian hat alles versucht und selbst Krugbert hat sich zu dem ein oder anderen Wort hinreißen lassen, doch alles hat nichts genützt.

Er ist zu seiner alten Einheit zurückgekehrt und gen Mendena gezogen, um Tobrien zu befreien und Helme Haffax in die Schranken zu weisen. Hat gesagt, dass er es für seine Tochter tun muss, der sei er es schuldig, eine bessere Welt zu hinterlassen, nachdem er sie ja erst jetzt seit drei Götterläufen wieder hat.

Wir konnten alle gemeinsam nichts machen und haben den ganzen Herbst, Winter und auch jetzt noch gebetet für ihn und seine heile Rückkehr zu uns allen. Doch jetzt wissen wir es sicher: Er ist beim Sturm von Mendena ehrenvoll gefallen.

Es sieht nicht so aus, als würden wir gemeinsam die Taverne halten können. Keiner von uns hat bisher Absprachen mit der Pfalz und dem dortigen Pfalzherrn treffen können, denn alle sind noch im Krieg oder mit den Nachwirkungen beschäftigt. Die ganzen wichtigen Dokumente laufen aber auf den Namen von Erhardt, Boron sei seiner Seele gewogen, sodass wir nichts mehr ausschenken dürfen und auch niemand mehr übernachten darf. Kurz gesagt: wir sind ruiniert und müssen uns etwas neues suchen.

Die Zeit steht nicht still, werter Hagbert, und so ziehen wir alle gemeinsam in den nächsten Tagen weiter und suchen uns neue Arbeit. Herdlinde hat überlegt, wieder zurück nach Tobrien zu gehen und Krugbert wird sich eventuell anschließen. Was den Rest angeht, weiß ich noch nicht, was geschieht. Mach dir aber keine Sorgen um uns. Erhardt hat wie immer vorgesorgt und uns einen ordentlichen Notgroschen überlassen, mit dem wir die nächsten Wochen überstehen können. Er war ein guter Mann.

Es tut mir leid, dass wir so schlechte Nachrichten für dich haben. Falls du noch auf ein letztes Bier, das es natürlich offiziell gar nicht mehr bei uns gibt, vorbeikommen magst, damit wir auf den Toten trinken können, so freuen wir uns auf deinen Besuch. Ansonsten heißt es jetzt Lebwohl zu sagen.

Danke, auch im Namen von Erhardt, für die vielen gemeinsamen schönen Stunden in der Kaiserpfalz und deine vielen gutgemeinten Ratschläge.

Es grüßt dich,
Phexlieb“


Das ein oder andere Mal musste der breite und starke Mann mit zitternder Stimme einhalten beim Lesen und zum Ende glitzerten seine Augen im rußverschmierten Gesicht verdächtig. Vorsichtig legte er den Brief zurück auf das Stück Leder und wischte sich einmal verstohlen durchs Gesicht.

„Werd‘ wohl morgen aufbrechen Richtung Pfalz. Meinst du, du kommst ohne mich zurecht in den nächsten Tagen? Ich muss den Saukerl angemessen verabschieden und den jungen Leut' dort den ein oder anderen guten Ratschlag geben.“

Juniva lächelte sanft und legte ihrem großen Mann ihre kleine schmale Hand an die bärtige Wange. „Mach du nur. Ich bleib hier und sorg für alles. Bevor du morgen gehst, packe ich ein paar Sachen für die jungen Leut' zusammen, damit sie auf ihrer Reise zu einer neuen Heimat auch nicht darben müssen. Und jetzt, mein Lieber, trinken wir gemeinsam einen guten Schluck vom Schnaps auf deinen Freund Erhardt. Das hat er sich verdient.“

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